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Open Call: 3. Worpswede-Stipendium für Absolvent:Innen der BURG Halle
Wir schaffen Räume für reale Utopien
Künstler:innen Häuser Sie sind Mitgründer des Architekturkollektivs raumlaborberlin aus und konzipieren derzeit die Entwurfsplanung für eine transformierte Stipendienstätte der Zukunft Vor den Pferdeweiden im Künstlerdorf Worpswede. Inwiefern inspiriert Sie als erfahrener Architekt mit einem Fokus auf urbane Praxis dieser Ort?
Christof Mayer Ganz ehrlich, er gefällt mir mit jedem Besuch immer besser. Als ich nach dem ersten Kontakt mit Philine und Bhima über die Stipendienstätte recherchierte, war ich von der „Einfamilienhaus“-Architektur aus den 1970ern eher überrascht. Als ich dann das erste mal selbst vor Ort war und das im Kontext erleben konnte, die landschaftliche Situation, die weiten Blicke, da habe ich gespürt, dass sich die Architekten sehr viele Gedanken gemacht haben. Wie die Häuser trotz ihrer Gleichheit sehr unterschiedliche Raumsituationen schaffen. Das hat alles viel Qualität, auf die wir nun bei der Transformation aufbauen können.
Künstler:innen Häuser Das Kollektiv raumlaborberlin beschreibt seine Arbeit so: „Wir lieben die großen Ideen der 60er und 70er Jahre und den Optimismus, der damit verbunden ist, die Welt mit einem Schlag zum Besseren zu verändern. Aber wir glauben fest daran, dass Komplexität real und gut ist und unsere heutige Gesellschaft einen substanzielleren Ansatz braucht. Deshalb sind unsere raumbezogenen Vorschläge kleinräumig und tief in den lokalen Bedingungen verwurzelt. By By Utopie.“
Christof Mayer Ja, wir haben uns intensiv mit den Utopien der 70er auseinandergesetzt, auch mit ihren Schattenseiten, z.B. wie aus einem universalen Anspruch eine uniforme Lösung wurde. Das wurde bei einem unserer frühen Projekte in Halle Neustadt sehr deutlich. Mittlerweile sprechen wir lieber von „Realen Utopien“. Das Paradox stammt von dem US-Soziologen Erik Olin Wright. Es beschreibt, Zukunft zu gestalten, indem wir in der Gegenwart handeln. Es geht dabei um die Einführung utopischer Modelle in eine alltägliche Gegenwart als Möglichkeit, Veränderungsprozesse zu initiieren, zu entwickeln und zu reflektieren. Reale Utopien erzeugen so neue Vorstellungen, die die Kraft haben können, Systeme langfristig zu verändern.
Künstler:innen Häuser Was macht für einen urbanen Stadtplaner eigentlich den dörflichen Kontext aus?
Christof Mayer Ehrlich gesagt, sehe ich da keinen großen Unterschied. Ich betrachte unsere Gesellschaft grundsätzlich als eine urbane Gesellschaft. Das heißt, die Grundlage, wie wir heute zusammenleben, ist städtisch in dem Sinne, wie unsere Gesellschaft funktioniert, auch in Worpswede. Wenn man das historisch kontextualisiert, dann ist vereinfacht gesagt, die bürgerliche Stadtgesellschaft im Kleinen der Ursprung der heutigen Gesellschaftsform. Dieses Mehr an Freiheit gab es zuerst in den Städten, man sagt ja „Stadtluft macht frei". Auch die Abkehr vom Feudalsystem hin zu demokratischen Systemen hat in den Städten begonnen.
Außerdem ist es so, dass Städte nie unabhängig vom ländlichen Raum funktioniert haben. In ihrer Versorgung waren Städte immer vom ländlichen Raum abhängig. Umgekehrt wurde alles, was man in einer Stadt nicht haben wollte, außerhalb der Stadt untergebracht. Früher waren es Friedhöfe und Krankenhäuser, heute sind es Datenspeichergebäude und Logistikzentren. Die Verknüpfungen gab es also schon immer, nur dass sie heutzutage stärker ausgeprägt sind. Und seit es das Internet gibt, haben die Menschen im Prinzip die gleichen Möglichkeiten, an Wissen zu kommen. Niemand lebt mehr hinter dem Mond, der auf dem Land aufwächst. Ob ich nun in Worpswede oder in Berlin ein Paket bestelle, die Logistik und die Logik dahinter sind die gleiche.
Künstler:innen Häuser Was Ihre Methode angeht bei raumlaborberlin haben wir einen schönen Begriff gefunden: „Forschungsbasiertes Gestalten". Welche Potenziale, welche Gestaltungsbedingungen oder auch Bremsen haben sie hier vor Ort bisher entdeckt?
Christof Mayer Da gibt es zwei Ebenen, also zunächst die Gestaltung des Objektes, also die Struktur, und dann die Gestaltung von Prozessen. Das betrifft einerseits die Umsetzung der baulichen Maßnahmen in einem Prozess, der offen ist für Unvorhergesehenes, aber wir sehen das Projekt auch in einem größeren Zusammenhang. Es geht also nicht nur um das Gebäude allein, sondern auch um soziale Zusammenhänge und zu verstehen, welche Bedeutung die Künstler:innenhäuser als Teil Worpswedes haben und ob es auch da Potenziale gibt dies zu verbessern.
Künstler:innen Häuser Sie arbeiten stets an den Schnittstellen, Architektur, Stadtplanung und Intervention. Sie haben zudem einen Fokus auf „Schwierige Orte“, Orte, die irgendwie aufgegeben werden, aufgegeben wurden, übriggeblieben sind. Ehrlich gesagt beschreiben Sie damit auch ein bisschen die Lage der Künstler:innen Häuser hier. Die wirken ein bisschen verwelkt, also in den 1970er Jahren gab es einen großen künstlerischen Aufbruch, hier kamen internationale Künstler hin. Jetzt versuchen motivierte Akteure die kreative, positive Kraft zu reaktivieren und neu zu erfinden. Es gibt ein Gedächtnis der Utopie der 70er Jahre, aber wo sehen Sie Wege in die Zukunft? Wollen Künstler:innen überhaupt hierherkommen? Kann das Dorf noch ein Ort der zeitgenössischen Kunstproduktion sein? Sollte er einer bleiben? Kurzum, was reizt Sie an diesem Experimentierfeld?
Christof Mayer Also das ist vielschichtig. Da gibt es zunächst die bauliche Entwicklung und dann die soziale Transformation, da laufen mehrere Stränge parallel. Im Moment konzentriert sich raumlaborberlin zunächst darauf, wie wir die bauliche Transformation hier vor Ort voranbringen können. Es geht ja letztlich um Bedarfe. Was braucht es heute? Früher kamen Stipendiaten, die länger geblieben sind, oft mit Partner:in und Kind. Kurz gesagt die Ateliers sind ursprünglich darauf ausgericht. Die Zielgruppe heute ist diverser, das Spektrum reicht von Einzelpersonen, Paaren über Gruppen. Deswegen wollen wir eine größere Bandbreite an Ateliergrößen anbieten und einen größeren Schwerpunkt auf gemeinschaftlich genutzte Flächen richten, nicht als Zwang, aber als Angebot. Jeder kann für sich sein, wenn er will, aber wir planen auch mehrere gemeinschaftlich genutzte Räume, beispielweise soll es eine große Küche geben, eine Werkstatt und einen Seminarraum. Also Räume, wo man sich treffen kann aber auch öffentlichere Veranstaltungen machen kann. Das heißt die künftige Programmierung ist baulich komplexer als die gegenwärtige. Es geht darum, viele Möglichkeiten zu schaffen. Gleichzeitig versuchen wir, das vernünftig zu handhaben. Ganz konkret: Haus 1 kann mit der größten Atelierwohnung sehr gut Gruppen aufnehmen, gleichzeitig sind hier die Gemeinschaftsflächen untergebracht. Haus 2 hat künftig vier Ateliers unterschiedlicher Größe. Außerdem sollen auch Gäste untergebracht werden können, die nur für wenige Tage kommen.
Künstler:innen Häuser Das Konzept dahinter ist ja auch die Idee der Wiederkehrer, also Künstler:innen, die bereits hier waren als Stipendiat:innen, können gerne wiederkommen, wenn sie in den geknüpften Netzwerken weiter arbeiten wollen in diesem Kontext hier. Können Sie etwas sagen über den aktuellen Stand der architektonischen Planungen?
Christof Mayer Die Entwurfsplanung ist bereits abgeschlossen, die Bauantrags-Unterlagen sind ebenfalls vorbereitet, aber noch nicht eingereicht, das soll aber zeitnah passieren. Wir sind recht optimistisch, eine Genehmigung zu erhalten, es gibt planungsrechtlich noch einzelne Hürden.
Künstler:innen Häuser Bleibt natürlich die entscheidende Hürde der Finanzierung. Was könnte aus Ihrer Sicht hier vor Ort und anderswo geschehen, um das Projekt seiner Realisierung näherzubringen? Wie können weitere Akteure begeistert werden, welche Rolle spielt ihre „Portion Imagination“, was hier entstehen könnte?
Christof Mayer Wenn ich in Projekte eintauche, dann bin ich auf Empfang, das heisst auch, wenn ich nicht direkt an dem Projekt arbeite, nehme ich Möglichkeiten war, die sich irgendwo auftun. Wir sind beispielsweise in Kontakt mit ‚Bauhaus Erde‘, da geht es um neue Baustoffe. Oder gestern hatten wir einen Termin in Bremen und dann sprach jemand über anstehende Abrissmaßnahmen in der Innenstadt. Da bekomme ich dann natürlich große Ohren, weil es interessant wäre, Baustoffe oder Bauteile wieder zu verwenden und nachzunutzen. Aber das können wir erst dann konkret weiterverfolgen, wenn wir wissen, ob und wann wir bauen können. Also sobald uns die Baugenehmigung vorliegt und die Finanzierung steht.
Deshalb würde ich sagen, derzeit ist da vieles noch offen, aber gleichzeitig haben wir ein klares Ziel und eine Vision. Die entscheidende Frage ist nun, wie kommen wir dahin? Die meisten Wege sind nicht gerade. Es ist eher ein bisschen wie Segeln, wo man stets schauen muss, woher der Wind weht, man nähert sich im Zickzack seinen Zielen an und kann im Prozess nachjustieren. Das sind wir gewohnt.
Künstler:innen Häuser Wie kann man Finanziers im Kulturbetrieb und Politik begeistern für so ein ambitioniertes Ziel, das eben erst in Ansätzen sichtbar sein kann?
Christof Mayer Klar. Neben einer guten Planung arbeiten wir auch an stimmigen Erzählungen. Es gibt ein Buch von Lucius Burckhardt mit dem Titel ‚Der kleinstmögliche Eingriff‘. Das bringt es eigentlich gut auf den Punkt. Trotz des größeren Flächenbedarfs wollen wir eigentlich keine weiteren, oder zumindest möglichst wenig neue Flächen versiegeln. Den Flächenbedarf haben wir deshalb in der Veränderung vom Bestand gesucht, das ist ein gutes Narrativ, um Menschen zu erreichen. Wir können mit unserem Entwurf zudem den größten Teil der bisherigen Bauform nutzen, und wollen, wo das nicht geht, das vorhandene Material wieder verwenden. Dazu werden wir versuchen, Material von anderen Gebäuden zu verwenden, die im Umkreis abgerissen werden. Das führt zwar zu einem höheren logistischen Aufwand und auch zu Entwurfsanpassungen. Aber wir wollen herausfinden, wo da die Grenzen des Machbaren sind. Eine weitere Möglichkeit ist nachhaltige Baustoffe anzuwenden und auszuprobieren, beispielsweise aus der Paludikultur, die unter Umständen noch nicht zertifiziert sind. Jedenfalls haben wir in unserem Entwurf dafür Bereiche vorgesehen. Sicherlich lässt sich nicht alles davon umsetzen, aber derzeit geht es uns jetzt erst einmal darum, die Möglichkeiten im Sinne von Nachhaltigkeit und Zirkularität mitzudenken.
Künstler:innen Häuser Am Ende geht es natürlich nicht nur um ein möglichst nachhaltiges Gebäude, sondern um einen Ort künftiger Kunstproduktion, was ja angesichts des historischen Erbes der Utopien der 1970er spannend sein kann. Zentral wird dabei sein, wie das Projekt eingebunden werden kann in den Ort, z.B. über Satelliten. Für wie wichtig halten Sie diese Vernetzung?
Christof Mayer Das ist ein Aspekt, der das Projekt für uns besonders interessant macht, also dass es nicht ausschließlich um die Transformation der Künstler*innenhäuser geht, sondern auch um deren Einbindung in den Ort Worpswede. Und da geht es eben nicht um städtebauliche Aspekte, sondern um soziale, kulturelle und gesellschaftliche. Dafür muss man dann eben auch diesen Kontext verstehen. Die bereits bestehenden Satelliten wie das Haus 6 und die Albert Hall sind dafür sehr gute Anknüpfungspunkte. Deshalb war es toll gestern den Abend im Haus 6 zu verbringen, also zu erleben, wer kommt und wie die Stimmung ist.
Künstler:innen Häuser Was die Sichtbarkeit im Ort angeht, da gibt es ja eine interessante Ambivalenz. Wie viel wollen die Künstler:innen Häuser zulassen? Wollen das umgekehrt die Bürger:innen und die Touristen überhaupt? Es ist ja auch ein bisschen ein Schaufenster der Ateliers geplant, oder?
Christof Mayer Ja, wie eine Art Schaufenster der Künstler:innen Häuser. Es wird auf jeden Fall von der Straße aus wahrnehmbar sein. Es ist ein überdachter Außenraum mit der Möglichkeit geplant, diesen zu schließen oder ihn als Werkstatt, aber auch für Ausstellungen zu nutzen. Wir haben grundsätzlich Flächen vorgesehen, die eine stärkere Öffentlichkeit ermöglichen, etwa den Seminarraum, der auch für öffentliche Veranstaltungen genutzt werden könnte. Aber ich glaube, dass es wichtig ist, den Kontakt mit der Öffentlichkeit auszubalancieren. Wir schaffen die räumlichen Möglichkeiten dafür.
Künstler:innen Häuser Könnte der rurale Raum nicht auch eine Art Gegenmodell bieten für einige Lebensweisen und Funktionsweisen, die wir eigentlich auch in Städten wieder brauchen?
Christof Mayer Bestimmt. Wir haben uns hier gestern amüsiert, dass sich das Haus 6 ein bisschen anfühlt wie Berlin in den Neunzigern. Aber solche Orte gibt es dort kaum mehr, der ländliche Raum eröffnet also in mancher Hinsicht momentan mehr Freiräume. Interessant ist ja auch, dass es Menschen gibt, die hier leben, aber auch in Berlin arbeiten. Leben in Städten wird immer teurer. Einer der Gründe in den 90ern nach Berlin zu kommen, waren die sehr günstigen Mieten, die ein Leben ohne große wirtschaftliche Zwänge mit vielen Freiheiten ermöglichte. Darin sehe ich eine Chance für Worpswede und gerade auch für die Künstler:innen Häuser, an diese neuen Perspektiven und Freiräume im ländlichen Raum anzuschließen.
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Künstler:innen Häuser Sie sind Mitgründer des Architekturkollektivs raumlaborberlin aus und konzipieren derzeit die Entwurfsplanung für eine transformierte Stipendienstätte der Zukunft Vor den Pferdeweiden im Künstlerdorf Worpswede. Inwiefern inspiriert Sie als erfahrener Architekt mit einem Fokus auf urbane Praxis dieser Ort?
Christof Mayer Ganz ehrlich, er gefällt mir mit jedem Besuch immer besser. Als ich nach dem ersten Kontakt mit Philine und Bhima über die Stipendienstätte recherchierte, war ich von der „Einfamilienhaus“-Architektur aus den 1970ern eher überrascht. Als ich dann das erste mal selbst vor Ort war und das im Kontext erleben konnte, die landschaftliche Situation, die weiten Blicke, da habe ich gespürt, dass sich die Architekten sehr viele Gedanken gemacht haben. Wie die Häuser trotz ihrer Gleichheit sehr unterschiedliche Raumsituationen schaffen. Das hat alles viel Qualität, auf die wir nun bei der Transformation aufbauen können.
Künstler:innen Häuser Das Kollektiv raumlaborberlin beschreibt seine Arbeit so: „Wir lieben die großen Ideen der 60er und 70er Jahre und den Optimismus, der damit verbunden ist, die Welt mit einem Schlag zum Besseren zu verändern. Aber wir glauben fest daran, dass Komplexität real und gut ist und unsere heutige Gesellschaft einen substanzielleren Ansatz braucht. Deshalb sind unsere raumbezogenen Vorschläge kleinräumig und tief in den lokalen Bedingungen verwurzelt. By By Utopie.“
Christof Mayer Ja, wir haben uns intensiv mit den Utopien der 70er auseinandergesetzt, auch mit ihren Schattenseiten, z.B. wie aus einem universalen Anspruch eine uniforme Lösung wurde. Das wurde bei einem unserer frühen Projekte in Halle Neustadt sehr deutlich. Mittlerweile sprechen wir lieber von „Realen Utopien“. Das Paradox stammt von dem US-Soziologen Erik Olin Wright. Es beschreibt, Zukunft zu gestalten, indem wir in der Gegenwart handeln. Es geht dabei um die Einführung utopischer Modelle in eine alltägliche Gegenwart als Möglichkeit, Veränderungsprozesse zu initiieren, zu entwickeln und zu reflektieren. Reale Utopien erzeugen so neue Vorstellungen, die die Kraft haben können, Systeme langfristig zu verändern.
Künstler:innen Häuser Was macht für einen urbanen Stadtplaner eigentlich den dörflichen Kontext aus?
Christof Mayer Ehrlich gesagt, sehe ich da keinen großen Unterschied. Ich betrachte unsere Gesellschaft grundsätzlich als eine urbane Gesellschaft. Das heißt, die Grundlage, wie wir heute zusammenleben, ist städtisch in dem Sinne, wie unsere Gesellschaft funktioniert, auch in Worpswede. Wenn man das historisch kontextualisiert, dann ist vereinfacht gesagt, die bürgerliche Stadtgesellschaft im Kleinen der Ursprung der heutigen Gesellschaftsform. Dieses Mehr an Freiheit gab es zuerst in den Städten, man sagt ja „Stadtluft macht frei". Auch die Abkehr vom Feudalsystem hin zu demokratischen Systemen hat in den Städten begonnen.
Außerdem ist es so, dass Städte nie unabhängig vom ländlichen Raum funktioniert haben. In ihrer Versorgung waren Städte immer vom ländlichen Raum abhängig. Umgekehrt wurde alles, was man in einer Stadt nicht haben wollte, außerhalb der Stadt untergebracht. Früher waren es Friedhöfe und Krankenhäuser, heute sind es Datenspeichergebäude und Logistikzentren. Die Verknüpfungen gab es also schon immer, nur dass sie heutzutage stärker ausgeprägt sind. Und seit es das Internet gibt, haben die Menschen im Prinzip die gleichen Möglichkeiten, an Wissen zu kommen. Niemand lebt mehr hinter dem Mond, der auf dem Land aufwächst. Ob ich nun in Worpswede oder in Berlin ein Paket bestelle, die Logistik und die Logik dahinter sind die gleiche.
Künstler:innen Häuser Was Ihre Methode angeht bei raumlaborberlin haben wir einen schönen Begriff gefunden: „Forschungsbasiertes Gestalten". Welche Potenziale, welche Gestaltungsbedingungen oder auch Bremsen haben sie hier vor Ort bisher entdeckt?
Christof Mayer Da gibt es zwei Ebenen, also zunächst die Gestaltung des Objektes, also die Struktur, und dann die Gestaltung von Prozessen. Das betrifft einerseits die Umsetzung der baulichen Maßnahmen in einem Prozess, der offen ist für Unvorhergesehenes, aber wir sehen das Projekt auch in einem größeren Zusammenhang. Es geht also nicht nur um das Gebäude allein, sondern auch um soziale Zusammenhänge und zu verstehen, welche Bedeutung die Künstler:innenhäuser als Teil Worpswedes haben und ob es auch da Potenziale gibt dies zu verbessern.
Künstler:innen Häuser Sie arbeiten stets an den Schnittstellen, Architektur, Stadtplanung und Intervention. Sie haben zudem einen Fokus auf „Schwierige Orte“, Orte, die irgendwie aufgegeben werden, aufgegeben wurden, übriggeblieben sind. Ehrlich gesagt beschreiben Sie damit auch ein bisschen die Lage der Künstler:innen Häuser hier. Die wirken ein bisschen verwelkt, also in den 1970er Jahren gab es einen großen künstlerischen Aufbruch, hier kamen internationale Künstler hin. Jetzt versuchen motivierte Akteure die kreative, positive Kraft zu reaktivieren und neu zu erfinden. Es gibt ein Gedächtnis der Utopie der 70er Jahre, aber wo sehen Sie Wege in die Zukunft? Wollen Künstler:innen überhaupt hierherkommen? Kann das Dorf noch ein Ort der zeitgenössischen Kunstproduktion sein? Sollte er einer bleiben? Kurzum, was reizt Sie an diesem Experimentierfeld?
Christof Mayer Also das ist vielschichtig. Da gibt es zunächst die bauliche Entwicklung und dann die soziale Transformation, da laufen mehrere Stränge parallel. Im Moment konzentriert sich raumlaborberlin zunächst darauf, wie wir die bauliche Transformation hier vor Ort voranbringen können. Es geht ja letztlich um Bedarfe. Was braucht es heute? Früher kamen Stipendiaten, die länger geblieben sind, oft mit Partner:in und Kind. Kurz gesagt die Ateliers sind ursprünglich darauf ausgericht. Die Zielgruppe heute ist diverser, das Spektrum reicht von Einzelpersonen, Paaren über Gruppen. Deswegen wollen wir eine größere Bandbreite an Ateliergrößen anbieten und einen größeren Schwerpunkt auf gemeinschaftlich genutzte Flächen richten, nicht als Zwang, aber als Angebot. Jeder kann für sich sein, wenn er will, aber wir planen auch mehrere gemeinschaftlich genutzte Räume, beispielweise soll es eine große Küche geben, eine Werkstatt und einen Seminarraum. Also Räume, wo man sich treffen kann aber auch öffentlichere Veranstaltungen machen kann. Das heißt die künftige Programmierung ist baulich komplexer als die gegenwärtige. Es geht darum, viele Möglichkeiten zu schaffen. Gleichzeitig versuchen wir, das vernünftig zu handhaben. Ganz konkret: Haus 1 kann mit der größten Atelierwohnung sehr gut Gruppen aufnehmen, gleichzeitig sind hier die Gemeinschaftsflächen untergebracht. Haus 2 hat künftig vier Ateliers unterschiedlicher Größe. Außerdem sollen auch Gäste untergebracht werden können, die nur für wenige Tage kommen.
Künstler:innen Häuser Das Konzept dahinter ist ja auch die Idee der Wiederkehrer, also Künstler:innen, die bereits hier waren als Stipendiat:innen, können gerne wiederkommen, wenn sie in den geknüpften Netzwerken weiter arbeiten wollen in diesem Kontext hier. Können Sie etwas sagen über den aktuellen Stand der architektonischen Planungen?
Christof Mayer Die Entwurfsplanung ist bereits abgeschlossen, die Bauantrags-Unterlagen sind ebenfalls vorbereitet, aber noch nicht eingereicht, das soll aber zeitnah passieren. Wir sind recht optimistisch, eine Genehmigung zu erhalten, es gibt planungsrechtlich noch einzelne Hürden.
Künstler:innen Häuser Bleibt natürlich die entscheidende Hürde der Finanzierung. Was könnte aus Ihrer Sicht hier vor Ort und anderswo geschehen, um das Projekt seiner Realisierung näherzubringen? Wie können weitere Akteure begeistert werden, welche Rolle spielt ihre „Portion Imagination“, was hier entstehen könnte?
Christof Mayer Wenn ich in Projekte eintauche, dann bin ich auf Empfang, das heisst auch, wenn ich nicht direkt an dem Projekt arbeite, nehme ich Möglichkeiten war, die sich irgendwo auftun. Wir sind beispielsweise in Kontakt mit ‚Bauhaus Erde‘, da geht es um neue Baustoffe. Oder gestern hatten wir einen Termin in Bremen und dann sprach jemand über anstehende Abrissmaßnahmen in der Innenstadt. Da bekomme ich dann natürlich große Ohren, weil es interessant wäre, Baustoffe oder Bauteile wieder zu verwenden und nachzunutzen. Aber das können wir erst dann konkret weiterverfolgen, wenn wir wissen, ob und wann wir bauen können. Also sobald uns die Baugenehmigung vorliegt und die Finanzierung steht.
Deshalb würde ich sagen, derzeit ist da vieles noch offen, aber gleichzeitig haben wir ein klares Ziel und eine Vision. Die entscheidende Frage ist nun, wie kommen wir dahin? Die meisten Wege sind nicht gerade. Es ist eher ein bisschen wie Segeln, wo man stets schauen muss, woher der Wind weht, man nähert sich im Zickzack seinen Zielen an und kann im Prozess nachjustieren. Das sind wir gewohnt.
Künstler:innen Häuser Wie kann man Finanziers im Kulturbetrieb und Politik begeistern für so ein ambitioniertes Ziel, das eben erst in Ansätzen sichtbar sein kann?
Christof Mayer Klar. Neben einer guten Planung arbeiten wir auch an stimmigen Erzählungen. Es gibt ein Buch von Lucius Burckhardt mit dem Titel ‚Der kleinstmögliche Eingriff‘. Das bringt es eigentlich gut auf den Punkt. Trotz des größeren Flächenbedarfs wollen wir eigentlich keine weiteren, oder zumindest möglichst wenig neue Flächen versiegeln. Den Flächenbedarf haben wir deshalb in der Veränderung vom Bestand gesucht, das ist ein gutes Narrativ, um Menschen zu erreichen. Wir können mit unserem Entwurf zudem den größten Teil der bisherigen Bauform nutzen, und wollen, wo das nicht geht, das vorhandene Material wieder verwenden. Dazu werden wir versuchen, Material von anderen Gebäuden zu verwenden, die im Umkreis abgerissen werden. Das führt zwar zu einem höheren logistischen Aufwand und auch zu Entwurfsanpassungen. Aber wir wollen herausfinden, wo da die Grenzen des Machbaren sind. Eine weitere Möglichkeit ist nachhaltige Baustoffe anzuwenden und auszuprobieren, beispielsweise aus der Paludikultur, die unter Umständen noch nicht zertifiziert sind. Jedenfalls haben wir in unserem Entwurf dafür Bereiche vorgesehen. Sicherlich lässt sich nicht alles davon umsetzen, aber derzeit geht es uns jetzt erst einmal darum, die Möglichkeiten im Sinne von Nachhaltigkeit und Zirkularität mitzudenken.
Künstler:innen Häuser Am Ende geht es natürlich nicht nur um ein möglichst nachhaltiges Gebäude, sondern um einen Ort künftiger Kunstproduktion, was ja angesichts des historischen Erbes der Utopien der 1970er spannend sein kann. Zentral wird dabei sein, wie das Projekt eingebunden werden kann in den Ort, z.B. über Satelliten. Für wie wichtig halten Sie diese Vernetzung?
Christof Mayer Das ist ein Aspekt, der das Projekt für uns besonders interessant macht, also dass es nicht ausschließlich um die Transformation der Künstler*innenhäuser geht, sondern auch um deren Einbindung in den Ort Worpswede. Und da geht es eben nicht um städtebauliche Aspekte, sondern um soziale, kulturelle und gesellschaftliche. Dafür muss man dann eben auch diesen Kontext verstehen. Die bereits bestehenden Satelliten wie das Haus 6 und die Albert Hall sind dafür sehr gute Anknüpfungspunkte. Deshalb war es toll gestern den Abend im Haus 6 zu verbringen, also zu erleben, wer kommt und wie die Stimmung ist.
Künstler:innen Häuser Was die Sichtbarkeit im Ort angeht, da gibt es ja eine interessante Ambivalenz. Wie viel wollen die Künstler:innen Häuser zulassen? Wollen das umgekehrt die Bürger:innen und die Touristen überhaupt? Es ist ja auch ein bisschen ein Schaufenster der Ateliers geplant, oder?
Christof Mayer Ja, wie eine Art Schaufenster der Künstler:innen Häuser. Es wird auf jeden Fall von der Straße aus wahrnehmbar sein. Es ist ein überdachter Außenraum mit der Möglichkeit geplant, diesen zu schließen oder ihn als Werkstatt, aber auch für Ausstellungen zu nutzen. Wir haben grundsätzlich Flächen vorgesehen, die eine stärkere Öffentlichkeit ermöglichen, etwa den Seminarraum, der auch für öffentliche Veranstaltungen genutzt werden könnte. Aber ich glaube, dass es wichtig ist, den Kontakt mit der Öffentlichkeit auszubalancieren. Wir schaffen die räumlichen Möglichkeiten dafür.
Künstler:innen Häuser Könnte der rurale Raum nicht auch eine Art Gegenmodell bieten für einige Lebensweisen und Funktionsweisen, die wir eigentlich auch in Städten wieder brauchen?
Christof Mayer Bestimmt. Wir haben uns hier gestern amüsiert, dass sich das Haus 6 ein bisschen anfühlt wie Berlin in den Neunzigern. Aber solche Orte gibt es dort kaum mehr, der ländliche Raum eröffnet also in mancher Hinsicht momentan mehr Freiräume. Interessant ist ja auch, dass es Menschen gibt, die hier leben, aber auch in Berlin arbeiten. Leben in Städten wird immer teurer. Einer der Gründe in den 90ern nach Berlin zu kommen, waren die sehr günstigen Mieten, die ein Leben ohne große wirtschaftliche Zwänge mit vielen Freiheiten ermöglichte. Darin sehe ich eine Chance für Worpswede und gerade auch für die Künstler:innen Häuser, an diese neuen Perspektiven und Freiräume im ländlichen Raum anzuschließen.
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