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Säulen der Demokratie
Künstler:innen Häuser Können Sie beschreiben, woran Sie während des Songs of Serpents Stipendiums in der Ukraine und in Worpswede arbeiten und was Sie an dem Programm motiviert hat?
Sophie Seita Ich wurde von der Junge Akademie der Berliner Akademie der Künste nominiert, wo ich vergangenes Jahr das Werner-Düttmann-Stipendium innehatte. Aktuell arbeite ich an mehreren Projekten im Rahmen des Songs of Serpents-Programms. Für meine (Fern-)Residenz bei Khata Maysternya in der Ukraine habe ich ein Mail-Art-Projekt entwickelt, für das ich den Kuratorinnen jeden Tag etwas per Post geschickt habe. Ich habe Zeichnungen, Kritzeleien, eine Geschichte und Kleinigkeiten aus meinem Atelier geschickt. Ich habe Recherchen über die lokale Künstlerin Paraska Plytka-Horytsvitz angestellt, eine möglicherweise queere Figur, und ihr einige fiktive Briefe geschickt; Ich entwarf spekulative Begegnungen mit ihrem Archiv, mit der Landschaft; ich schrieb auch verschiedene imaginäre Klangspaziergänge, von denen ich hoffe, dass sie irgendwann vom Team oder zukünftigen Residenzkünstler:innen umgesetzt werden; ich schaute mir Karten an und bemerkte die konzentrischen Ringe, die Berge oder Wetterphänomene symbolisieren. Ich fragte mich, wie ich einem Ort, den ich nicht kenne, zuhören und über ihn schreiben könnte – wie ich die Landschaft auf sensible, ethisch abgestimmte Weise beleben könnte, mich von ihr beleben lassen könnte? Ich dachte über ruhige Dinge in einer lauten Zeit nach. Formen der Anrede, des Rufens, des Gerufenwerdens zu etwas, jemandem, dem, was in und um uns herum ist. Dinge aus einem schrägen Blickwinkel wahrnehmen, langsames Reisen, Schneckenpost, verlängerte Dauer und innere Landschaften. Ich werde diese Arbeit nun in eine Lecture Performance umwandeln. In Worpswede habe ich eine Reihe performativer Skulpturen entwickelt, in Form von Stoffsäulen, die mit grafischen Partituren bedeckt sind, die mögliche Bewegungen und Klänge suggerieren und schließlich auch in einer Live-Performance aktiviert werden sollen. Die Säulen werden Teil einer größeren Installation sein und als mögliche Bühne, als möglicher Körper fungieren. Das Wort „Säule” ließ mich an meine Wirbelsäule denken, an meinen Rücken, daran, wie der Rücken zwischen Steifheit und Flexibilität, Aufrechtsein und Biegsamkeit vermittelt, und daran, wie wir sagen, dass jemand moralisches Rückgrat hat oder eben nicht. Ich dachte über die Säulen der Demokratie nach und darüber, wie das Forum Romanum auf einem Sumpf erbaut wurde, und natürlich befand ich mich in Worpswede aufgrund der Moorlandschaft auch auf ziemlich weichem, wackeligem Boden. Es gibt also die Andeutung eines möglichen Zusammenbruchs, Verfalls oder Verrottens, aber ich interessiere mich auch für Wackligkeit als phänomenologische Position, aus der politisches Engagement entstehen kann und muss.
Künstler:innen Häuser Wie hat es sich für Sie als renommierte internationale Künstlerin angefühlt, für kurze Zeit in den Künstler:innenhäusern in einem historischen Künstlerdorf wie Worpswede zu leben?
Sophie Seita Ich habe meine Doktorarbeit darüber geschrieben, wie Avantgarde-Gemeinschaften über das Medium des unabhängigen Magazins zusammenarbeiten, wie sie Beziehungen aufbauen, durch Dialog, Debatte und Zusammenarbeit neue Ideen zu Ästhetik und Politik entwickeln. Aber vor allem, welche Kontexte, Umgebungen oder Räume experimentelle Praktiken und Gemeinschaften entstehen lassen. Für dieses Projekt, aber auch für meine eigene Arbeit, die oft die Form der Vortragsperformance annimmt, habe ich ziemlich viel darüber recherchiert, wie Künstler zusammenkommen und alternative Schulen, Residenzen, Ausstellungsräume oder Salons aufbauen und neue Formen des Zusammenkommens und Lernens entwickeln. Ich bin seit langem vom Bauhaus, dem Black Mountain College usw. inspiriert, und meine Frau und ich hegen den Traum, eines Tages auch einmal unsere eigene Residenz zu gründen. Daher war es interessant und inspirierend, mich in einem Kontext wie Worpswede zu befinden, in dem Künstler historisch gesehen so sehr ihrer Praxis, der Landschaft und einander verpflichtet waren, dass sie dies zu ihrer Lebensweise machten. Natürlich besteht die Gefahr, dass man an einem idyllischen Ort wie diesem die Vergangenheit romantisiert und vergisst, dass jede (künstlerische) Gemeinschaft auch immer dadurch definiert ist, wer oder was ausgeschlossen ist. Meiner Meinung nach ist es die Aufgabe jedes kritisch engagierten (und sozial engagierten) Künstlers, Kurators, Zuschauers und Community-Mitglieds, darüber nachzudenken, wie man dieses (mitunter höchst problematische) Erbe einordnen und aktualisieren kann. Mit anderen Worten: Welche anderen Geschichten können wir über diesen Ort und seine Menschen erzählen, und wie kann die künstlerische Praxis heute für das, was in der Welt geschieht, relevant bleiben? Eine utopische Vision für eine Künstlergemeinschaft müsste heute sicherlich ganz anders aussehen.
Künstler:innen Häuser Haben Sie Anregungen, die Sie der Gemeinschaft und den Ateliers in Worpswede mitgeben möchten, um den Aufenthalt für internationale Künstler:innen künftig noch attraktiver zu gestalten?
Sophie Seita Die Residenz in den Künstler:innenHäusern Worpswede war ein absoluter Traum, ich habe absolut keine Verbesserungsvorschläge! Ich würde sie anderen internationalen Künstler:innen wärmstens empfehlen. Ich fühlte mich vom Team vor Ort und auch vom Songs of Serpent-Stipendienprogramm insgesamt unglaublich unterstützt – weil beide ausdrücklich die künstlerische Ausdrucksfreiheit fördern und verstehen, dass ein Programm, das sich auf Gender, Kunst und Ökologie konzentriert, auch andere globale politische Realitäten berücksichtigen muss. Daher wurden und werden alle teilnehmenden Künstler:innen ermutigt, die Komplexität dieser Schnittstellen und internationalen Solidaritäten zu erforschen, wofür ich sehr dankbar bin.
Programm Sommerfest 2025
Ankündigung Sommerfest in den Künstler:innenhäusern
Die Künstlerin Amber Hummel erhält das Worpswede-Stipendium der BURG
Arkadien reloaded?
Open Call: 3. Worpswede-Stipendium für Absolvent:Innen der BURG Halle
Wir schaffen Räume für reale Utopien
Ausschreibung für vier Kurzstipendien in Worpswede 2025
Einladung zum Talk:„VIOLINS VIOLENCE - SILENCE? Wie umgehen mit antidemokratischen Tendenzen in Bildender Kunst und Popkultur?“
Sommerfest am 24.08.2024
Künstler:innen Häuser Können Sie beschreiben, woran Sie während des Songs of Serpents Stipendiums in der Ukraine und in Worpswede arbeiten und was Sie an dem Programm motiviert hat?
Sophie Seita Ich wurde von der Junge Akademie der Berliner Akademie der Künste nominiert, wo ich vergangenes Jahr das Werner-Düttmann-Stipendium innehatte. Aktuell arbeite ich an mehreren Projekten im Rahmen des Songs of Serpents-Programms. Für meine (Fern-)Residenz bei Khata Maysternya in der Ukraine habe ich ein Mail-Art-Projekt entwickelt, für das ich den Kuratorinnen jeden Tag etwas per Post geschickt habe. Ich habe Zeichnungen, Kritzeleien, eine Geschichte und Kleinigkeiten aus meinem Atelier geschickt. Ich habe Recherchen über die lokale Künstlerin Paraska Plytka-Horytsvitz angestellt, eine möglicherweise queere Figur, und ihr einige fiktive Briefe geschickt; Ich entwarf spekulative Begegnungen mit ihrem Archiv, mit der Landschaft; ich schrieb auch verschiedene imaginäre Klangspaziergänge, von denen ich hoffe, dass sie irgendwann vom Team oder zukünftigen Residenzkünstler:innen umgesetzt werden; ich schaute mir Karten an und bemerkte die konzentrischen Ringe, die Berge oder Wetterphänomene symbolisieren. Ich fragte mich, wie ich einem Ort, den ich nicht kenne, zuhören und über ihn schreiben könnte – wie ich die Landschaft auf sensible, ethisch abgestimmte Weise beleben könnte, mich von ihr beleben lassen könnte? Ich dachte über ruhige Dinge in einer lauten Zeit nach. Formen der Anrede, des Rufens, des Gerufenwerdens zu etwas, jemandem, dem, was in und um uns herum ist. Dinge aus einem schrägen Blickwinkel wahrnehmen, langsames Reisen, Schneckenpost, verlängerte Dauer und innere Landschaften. Ich werde diese Arbeit nun in eine Lecture Performance umwandeln. In Worpswede habe ich eine Reihe performativer Skulpturen entwickelt, in Form von Stoffsäulen, die mit grafischen Partituren bedeckt sind, die mögliche Bewegungen und Klänge suggerieren und schließlich auch in einer Live-Performance aktiviert werden sollen. Die Säulen werden Teil einer größeren Installation sein und als mögliche Bühne, als möglicher Körper fungieren. Das Wort „Säule” ließ mich an meine Wirbelsäule denken, an meinen Rücken, daran, wie der Rücken zwischen Steifheit und Flexibilität, Aufrechtsein und Biegsamkeit vermittelt, und daran, wie wir sagen, dass jemand moralisches Rückgrat hat oder eben nicht. Ich dachte über die Säulen der Demokratie nach und darüber, wie das Forum Romanum auf einem Sumpf erbaut wurde, und natürlich befand ich mich in Worpswede aufgrund der Moorlandschaft auch auf ziemlich weichem, wackeligem Boden. Es gibt also die Andeutung eines möglichen Zusammenbruchs, Verfalls oder Verrottens, aber ich interessiere mich auch für Wackligkeit als phänomenologische Position, aus der politisches Engagement entstehen kann und muss.
Künstler:innen Häuser Wie hat es sich für Sie als renommierte internationale Künstlerin angefühlt, für kurze Zeit in den Künstler:innenhäusern in einem historischen Künstlerdorf wie Worpswede zu leben?
Sophie Seita Ich habe meine Doktorarbeit darüber geschrieben, wie Avantgarde-Gemeinschaften über das Medium des unabhängigen Magazins zusammenarbeiten, wie sie Beziehungen aufbauen, durch Dialog, Debatte und Zusammenarbeit neue Ideen zu Ästhetik und Politik entwickeln. Aber vor allem, welche Kontexte, Umgebungen oder Räume experimentelle Praktiken und Gemeinschaften entstehen lassen. Für dieses Projekt, aber auch für meine eigene Arbeit, die oft die Form der Vortragsperformance annimmt, habe ich ziemlich viel darüber recherchiert, wie Künstler zusammenkommen und alternative Schulen, Residenzen, Ausstellungsräume oder Salons aufbauen und neue Formen des Zusammenkommens und Lernens entwickeln. Ich bin seit langem vom Bauhaus, dem Black Mountain College usw. inspiriert, und meine Frau und ich hegen den Traum, eines Tages auch einmal unsere eigene Residenz zu gründen. Daher war es interessant und inspirierend, mich in einem Kontext wie Worpswede zu befinden, in dem Künstler historisch gesehen so sehr ihrer Praxis, der Landschaft und einander verpflichtet waren, dass sie dies zu ihrer Lebensweise machten. Natürlich besteht die Gefahr, dass man an einem idyllischen Ort wie diesem die Vergangenheit romantisiert und vergisst, dass jede (künstlerische) Gemeinschaft auch immer dadurch definiert ist, wer oder was ausgeschlossen ist. Meiner Meinung nach ist es die Aufgabe jedes kritisch engagierten (und sozial engagierten) Künstlers, Kurators, Zuschauers und Community-Mitglieds, darüber nachzudenken, wie man dieses (mitunter höchst problematische) Erbe einordnen und aktualisieren kann. Mit anderen Worten: Welche anderen Geschichten können wir über diesen Ort und seine Menschen erzählen, und wie kann die künstlerische Praxis heute für das, was in der Welt geschieht, relevant bleiben? Eine utopische Vision für eine Künstlergemeinschaft müsste heute sicherlich ganz anders aussehen.
Künstler:innen Häuser Haben Sie Anregungen, die Sie der Gemeinschaft und den Ateliers in Worpswede mitgeben möchten, um den Aufenthalt für internationale Künstler:innen künftig noch attraktiver zu gestalten?
Sophie Seita Die Residenz in den Künstler:innenHäusern Worpswede war ein absoluter Traum, ich habe absolut keine Verbesserungsvorschläge! Ich würde sie anderen internationalen Künstler:innen wärmstens empfehlen. Ich fühlte mich vom Team vor Ort und auch vom Songs of Serpent-Stipendienprogramm insgesamt unglaublich unterstützt – weil beide ausdrücklich die künstlerische Ausdrucksfreiheit fördern und verstehen, dass ein Programm, das sich auf Gender, Kunst und Ökologie konzentriert, auch andere globale politische Realitäten berücksichtigen muss. Daher wurden und werden alle teilnehmenden Künstler:innen ermutigt, die Komplexität dieser Schnittstellen und internationalen Solidaritäten zu erforschen, wofür ich sehr dankbar bin.
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